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Ich verstehe jetzt viel besser

Es war mein erster Besuch in einem Arbeitslager und wahrscheinlich auch der erste für die meisten meiner Mitschüler. Die Exkursion der neunten Klassen, des Geschichts-LK der Q1 und des Geschichtsseminars von Dr. Anja Bilski am 15. März 2018 in die Gedenkstätte Kamp Vught, Niederlande, war ein besonderes Erlebnis. Es begann mit dem Besuch des Hinrichtungsplatzes. Vor einem riesigen Holzkreuz ist dort eine Gedenktafel mit Namen und Todesjahren aufgestellt, viele Besucher legten dort Blumen ab, so auch wir. Unsere Lehrer und die Referendare lasen Tagebucheinträge eines Insassen vor.

Bei den Führungen durch die teils erhaltenen und teils nachgebauten Kasernen und das Gelände erfuhren wir hautnah, wie das „Leben“ in einem Arbeitslager gewesen sein muss. Wir sollten überlegen, wo der beste Platz in der Reihe zur Essensausgabe und zum Schlafen gewesen ist. Niemand von uns kam auf die richtige Antwort, weil wir uns die genauen Lebensumstände nicht vorstellen konnten: Die Betten waren klein, mit Stroh ausgestopft und man lag allein auf ein paar Querbalken, somit war es am besten im obersten Bett zu schlafen, denn wenn andere Insassen z.B. durch Krankheiten in der Nacht schwitzten oder urinierten, sickerten die Körperflüssigkeiten einfach nach unten durch. Beim Essen stand man am besten eher hinten, denn die schweren Kartoffel oder Gemüsestückchen sammelten sich am Boden des Topfes und die ersten Teller wurden hauptsächlich mit dünner Brühe gefüllt.

Als wir an einem der vielen Mahnmäler stehen blieben, erfuhren wir, dass die Namen der Kinder ausgelasert wurde, als Symbol dafür, dass sie niemals wieder kommen werden. Die Führerin erzählte uns, dass der damalige Leiter von Kamp Vught die Kinder loswerden und nach Auschwitz schicken wollte. Sie wurden viel schneller krank und konnten nicht so schwer arbeiten wie Erwachsene. Nur einen Säugling, der die dreitägige Fahrt nicht überlebt hätte, hielt er bei sich und ließ ihn aufpäppeln. Doch als  das Baby stark genug war, schickte er es wie die anderen Kinder nach Auschwitz, wo es unmittelbar nach seiner Ankunft vergast wurde.

Der Besuch der KZ-Gedenkstätte Vught fiel mir sehr schwer. Am Hinrichtungsplatz habe ich gebetet. Und als die Führung vorbei war, war ich glücklich, wieder nachhause zu können, denn mir war klar, dass all die Kinder und ihre Eltern ihr Zuhause nie wieder gesehen haben. Man braucht viel Kraft, um das Erfahrene zu verarbeiten, denn man weiß, dass es ein Teil unserer Geschichte ist. Missen möchte ich diesen Besuch und das Erlebte aber nicht. Es gibt mir einen ganz anderen Eindruck und ich verstehe, was dort passiert ist, viel besser, als in einem Text aus meinem Schulbuch.

Man fühlt sich ein Stück weit mit den Menschen verbunden, die dort ohne nachvollziehbaren Grund zur Arbeit gezwungen und getötet wurden. Juden, Homosexuelle, politische Feinde und viele mehr wurden unter menschenunwürdigen Bedingungen eingesperrt und misshandelt. Wir müssen uns heute  bewusst machen, dass wir keine Schuld daran tragen, was passiert ist, dürfen aber unsere Augen nicht verschließen, sondern müssen zusammen weiter an einem weltoffenen und verständnisvollen Deutschland arbeiten. Darum ist es sinnvoll, den Besuch eines Arbeitslagers ins schulinterne Curriculum des Clara aufzunehmen.


Text: Elena Orths (Q1), Bilder: Rahel Merzbach